Von der Integration der Popmusik im heutigen Gitarrenunterricht   

     Vortrag von Michael Borner beim Symposium „Classic goes Pop“ der „European Guitar Teachers Association“ Deutschland 5. Oktober 2013

Wenn ich von Integration spreche, geht es nicht um eine neue Zielsetzung, sondern um einen sich bereits jahrelang vollziehenden Prozess. Es geht auch nicht um Werbung für einen vernachlässigten musikalischen Bereich, der neue Beachtung verdient. Eher ist es eine Art Evaluation zum einen der Problematik, zum anderen der sich ergebenen Möglichkeiten in der pädagogischen Arbeit mit der Gitarre geschuldet.

Wir tun immer so, als sei eigentlich klar, was Popmusik ist, was sie ausmacht. Wir stehen allerdings nicht selten vor der Tatsache, dass diese Selbstverständlichkeit uns eigentlich nicht wirklich weiterhilft, dass sich ‚Popmusik’ als begriffliche Abkürzung für ‚Populäre Musik’ weder eingrenzen lässt, noch festzulegen wäre, was es mit diesem Pauschalbegriff auf sich hat oder haben sollte.

Während Popmusik eine Sammelbezeichnung für die ursprünglich aus dem Amerikanischen stammenden populären Musikformen des 20. Jahrhunderts darstellt, die in besonderer Weise durch Kulturmischung gekennzeichnet ist, bezeichnet populäre Musik (auch Popularmusik) Unterhaltungsmusik, die seit dem Mittelalter einen integrierenden Bestandteil der europäisch-abendländischen Musikentwicklung darstellt und „mit der Aufklärung des ausgehenden 18. und mit der Ausprägung des bürgerlichen Konzertlebens im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (bürgerliche Musikkultur) ein Eigenleben zu führen beginnt“. *1.)

Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass die hier geleistete Definition – obgleich nahezu historisch – uns zumindest einen Ausgangspunkt einer zeitgemäßen Betrachtungsweise bieten kann. Wir alle wissen, dass die Unterscheidung zwischen der so genannten ‚Unterhaltungsmusik‘ und der so genannten ‚Ernsten Musik‘ im Laufe der letzten Jahrzehnte schwere Rückschläge hinnehmen musste, d.h. diese Polarisierung in vielen musikalischen Bereichen außer Kraft gesetzt wurde, da sich dahinter nicht selten die Auffassung einer Unterscheidungsnotwendigkeit zwischen anspruchsvoller und anspruchsloser Musik versteckte. Jürgen Terhags Definition ist daher kritischer: „Der schwammige Sammelbegriff ‚Populäre Musik’, durch die simple Übersetzung des englischen ‚popular music’ immer und nie zutreffend, umfasst musikalisch ein gigantisches Spektrum von massenhaft bis elitär, von Volks- bis Kunstmusik, von Kopf bis Bauch …“ *2.)
Um eine Definition typischer Gestaltungsmittel der ‚Populären Musik’ kommen wir natürlich nicht herum, wenn wir uns ihrer pädagogisch bedienen wollen. Herrscht doch zwischen der klassischen und der populären Instrumentaldidaktik immer noch eine Barriere, einerseits aus auf Überschaubarkeit und Abprüfbarkeit abzielend, andrerseits sich mit Unüberschaubarkeit und Unabprüfbaren auseinandersetzend.

Terhag: „Was Populäre Musik jedoch von vielen anderen Musikarten unterscheidet, sind die hier erforderlichen Vermittlungsformen: Eine sinnvolle pädagogische Vermittlung Populärer Musik kommt in weiten Bereichen ohne schriftliche Fixierung aus, betont das Ohr gegenüber dem Auge, macht das Lernen in der Gruppe sinnvoll und ermöglicht das Lernen in völlig heterogenen Gruppen, sie rückt also die orale und aurale Tradition in ihr Zentrum, die auch für die Entstehung der meisten Formen Populärer Musik zentral war. So geht es beim Unterrichten populärer Musikformen um all das, was in Noten nicht fixierbar ist. Es geht um Körperlichkeit, um Spielen nach Gehör, um Feeling, um Groove und um Improvisation.“ *3.)

Wir befinden uns mittlerweile aufgrund einer wahrnehmbaren positiven qualitativen Entwicklung spezieller populärer Musikformen in einer Situation, in der eine Berechtigung des populären Selbstverständnisses der zu unterrichtenden Kinder und Jugendlichen längst nicht mehr leichtfertig übergangen werden kann. Eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Musikformen, von denen sie alltäglich umgeben sind, ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, sondern geradezu eine Art ‚Grundrecht’, aus dem sich ein Gestaltungswille des eigenen Lebensumfeldes erst entwickeln kann.

Die Gitarre stellt sich zum einen aufgrund ihrer Vielseitigkeit, ihrer unterschiedlichen Arten, zum anderen aufgrund ihrer verschiedenen Einsatzbereiche für den Pädagogen als „Spezialfall“ dar. Diese Tatsache macht die zeitgemäße Konzeption eines Unterrichts nicht gerade einfach.

Popmusik im Gitarrenunterricht erfordert andere Vermittlungsinhalte ebenso wie andere Vermittlungstechniken

Wenn wir über Popmusik sprechen, ist die E-Gitarre bei Schülern die wohl die erste Assoziation. Ihre gelungene Darstellung in allen Medienbereichen symbolisiert mittlerweile und gleichermaßen immer noch Freiheit, Protest, mitunter gewaltige Ausdruckspotentiale, aber auch ständige Verfügbarkeit, vergleichbar dem Umgang mit Mobiltelefonen. Die Symbole vermitteln darüber hinaus ein großes Potential an Selbstverständlichkeit, Leichtigkeit, Mühelosigkeit und idealisiert einen daran geknüpften Lebensstil. Die Realität während der ersten Beschäftigung mit diesem Instrument könnte dagegen kaum kontrastreicher ausfallen und stellt damit die ebenso erste Hürde für Lehrer und Schüler dar.

Die Wahl des E-Gitarrenunterrichts sollte daher eigentlich möglichst spät getroffen werden, damit diese Widersprüchlichkeit nicht allzu sehr im Vordergrund steht. Es ist natürlich auch zu klären, ob wirklich die E- Gitarre, mit all ihren technischen Möglichkeiten der Klangerzeugung, gewollt wird, oder, ob eher das Begleitinstrument für den Gesang gesucht wird. Sinnvollerweise schließt sich die Frage nach der Gesangsbereitschaft an. Diese Dinge führen automatisch in den typischen Popmusik – Unterricht, die ersten spielbaren Akkorde, einfache Begleitpatterns, bekannte Songs aber auch die bekannte Schwierigkeit den Gesangspart damit zu verbinden. Der Lehrer zeigt, der Schüler macht nach. Da es selten in dieser Unterrichtsgestaltung über das Kopieren, inhaltlich darüber hinaus dem so genannten ‚Covern’ bekannter Songs hinausgeht, bedarf es weiter gefassten Ansatzpunkten, die den unweigerlichen Reduktionismus außer Kraft setzen. Es geht hierbei vor allem um Inhalte, die einer eigenen Gestaltung Raum geben, das eigene Gespür schulen, den eigenen Geschmack weiter entwickeln.

Hier sind wir an dem Punkt, wo es um die Vermittlung eines geeigneten Fundaments geht, ganz gleich, ob oder welcher Unterricht vorher stattgefunden hat. Schauen wir hierfür einmal auf die Biographien bekannter Bands, Popmusiker (es dürfen auch Gitarristen sein): beispielsweise, wie viel Notenkenntnisse besaßen sie, wie groß waren ihre instrumentaltechnischen Fähigkeiten, was könnte für ihren Erfolg verantwortlich gewesen sein? Ohne Antworten auf diese Fragen vorweg nehmen oder dem einen oder anderen Musiker Unrecht tun zu wollen: wir kommen mit diesen Beispielfragen zu anderen Erkenntnissen und anderen Zielsetzungen hinsichtlich der Pädagogik. Es kann für den Schüler weder ausschließlich darum gehen, den bekannten Rhythmus eines Stückes exakt zu kopieren, noch darum, über Notation seinen typischen Charakter zu erfassen, auch wenn beides nicht sinnlos ist. Einen wesentlichen Ansatzpunkt hierbei bildet die Improvisation, hier nicht zu verstehen als Inbegriff des „Schaffens aus dem Nichts“, sondern die bereits in Form eines Variieren, Ausprobieren einer kleinen Veränderung Sinn macht. Eher das Spielen mit den Möglichkeiten ist hier gemeint, wobei die Möglichkeiten aus Bekanntem, aus Gekonntem resultieren, das heißt, vorher vermittelt sein sollten. Erst aus dem ‚kleinen Improvisieren’ entwickelt sich eine Gestaltungsfähigkeit, die über einen langen Weg in das ‚große Improvisieren’ münden kann.

Im Gegensatz zum „klassischen“ Unterricht begegnen wir im „populären“ Unterricht immer wieder der Frage, wie und ob der Schüler einen Song komplett, soll heißen, in seiner Vollständigkeit, ‚performen’ kann. Klassische Stücke sind vollkommen, was Form und Besetzung angeht. Das Ziel der Umsetzung ist ganz klar. Nicht so selbstverständlich ist die Umsetzung bei der Popmusik: was, wenn der gewählte Song ein Band- Stück ist und obendrein noch gesungen wird? Im Gitarrenunterricht sind wir gezwungen andere Lösungen zu suchen oder besser noch: mit dem Schüler zu erarbeiten. Die leichteste Lösung: der Schüler möchte singen. In den meisten Fällen ist die Begleitung populäre Bandsongs auf der Gitarre problemlos möglich und wird vom Schüler schnell als Band-Ersatz akzeptiert. Nicht so bei manchem Lehrer, dem die Gleichförmigkeit sowohl der Vermittlung als auch deren Ergebnisse sämtliche Motivation zu rauben vermag. Der eigentliche Grund aber ist vielleicht die empfundene „Entwertung“ des durchaus eigenständigen Instrumentes. Daher kann nicht selten die Tatsache – so widersprüchlich sie auch angesichts des grundlegend wichtigen und fördernden Wertes des Singens sein mag -, dass ein Schüler nicht singen möchte, für den einen oder anderen Lehrer ‚belebend’ wirken. Er bleibt Gitarrenlehrer, ohne dass Ansprüche auf Feedback oder Korrektur des Gesangs erhoben werden. In diesem Fall geht es nun also um die Auseinandersetzung mit Bearbeitungen. Aber wie ist es mit dem Zugang zur Populären Musik eines klassisch ausgebildeten Lehrers, der es gewohnt ist, sich selbst mit anderer Musik zu beschäftigen? Angesichts der Selbstverständlichkeit der Integration Populärer Inhalte, einerseits von Schülern geradezu gefordert, andererseits von fast jedem Lehrer weitsichtig praktiziert, ist ja eine intensivere Auseinandersetzung mit ihnen geboten.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es anzunehmen, dass es im breiten Spektrum Populärer Musik sicher Bereiche gibt, die den klassisch orientierten Gitarristen interessieren werden. Hier möchte ich dafür werben, den Mut zu haben in der eigenen musikalischen Arbeit darauf zu zu gehen. Das heißt beispielsweise, Bearbeitungen und Arrangements Populärer Songs einzustudieren oder sogar selber anzufertigen, Anschlagstechniken rhythmischer Patterns zu üben, Akkordsymbolik zu studieren, Improvisation zu wagen, kurzum, üben „beweglicher“ mit der Musik umzugehen. Die eigene Unterrichtsgestaltung wird davon profitieren.
Da die Gestaltungsfähigkeit des Rhythmus von zentraler Bedeutung ist, könnte dies heißen: Off-Beat Rhythmen üben, Synkopen üben, hier vor allem die Zählzeiten 2 u. sowie 4 u. Übungen können zusammen mit dem Schüler erfunden werden (eine Tonleiter, eine Melodie, die jetzt rhythmisch verfremdet wird, ein Teil eines bekannten Stückes, was verändert wird).
Traditionelle und populäre Melodien können mit einer typischen Rock- Begleitung, Funk-, Shuffle- oder Reggae-Begleitung eine lebendige Form bekommen (wie wäre es mit „What shall we do with the drunken Sailor“ als Reggae?). Wichtig ist dabei, dass der Lehrer die Möglichkeiten auch mit dem Schüler im Unterricht ausprobiert
Da durch die Allgegenwärtigkeit von Popmusik für Schüler rhythmische Verschiebungen längst nichts Ungewohntes mehr sind, sind Synkopen für sie meist vertrauter als man glaubt. Das ändert sich erst, wenn Notenschrift hinzukommt. Natürlich ist es hilfreich das Ergebnis vorweg hörbar zu machen, um dann erst das Notenbild zu erläutern. Es ist generell das „Zeigen“ und „Vormachen“, das im Populären Unterricht die Vermittlung größtenteils bestimmt und auch bestimmen sollte und damit die Anschaulichkeit sichert. Der Notentext, besprochen, erklärt und gelernt, sichert hingegen durch die eigene Nachvollziehbarkeit des Schülers die Aufgabenstellung.

Bearbeitungen als Unterrichtsmaterial

Hinsichtlich des Unterrichtsrepertoirs sollte es uns bewusst sein, dass massenhaft bekannte Popmusik ja so gut wie nie ausschließlich auf der Gitarre ausgeführt wird. Hits die uns und ebenso unseren Schülern tagtäglich in den umgebenden Medien begegnen, werden üblicherweise mit umfangreicher Instrumentierung von Band bis Sequencing oder Loops ausgestattet, während Gesang im Vordergrund steht. Das Original muss für die Benutzbarkeit im Unterricht – in welchem Umfang auch immer – reduziert werden. Durch diese Imitation versuchen wir die wesentlichen Merkmale des betreffenden Stückes so gut, oder so weit wie möglich umzusetzen oder umsetzbar zu machen. Dabei wird es unweigerlich klanglich einen Unterschied geben, was den Schüler wenig stören mag, wenn die ‚Substanz’ wiedergegeben wird, falls es eine solche ‚Substanz’ überhaupt gibt. Denn: vergessen wir nicht die visuellen und anderen außermusikalischen Wirkungen, die zu einer Begeisterung führen können. Nicht selten gibt es daher Grenzen, wo die Beschäftigung mit den aktuellsten Hits aus den Charts wenig Sinn macht, dann, wenn beispielsweise die musikalische Substanz sehr zu wünschen übrig lässt – hier geht es eher darum den Schüler darauf hin zu sensibilisieren.

Aber was wäre denn dann „substanzreich“? Natürlich werden wir gefühlsmäßig feststellen, ob ein Song „etwas hat“ oder nicht – man sollte jedoch nicht davor zurückschrecken Populäre Titel genauer zu betrachten, grob zu analysieren, auch jenseits des persönlichen Geschmacks.
Was an dem Song ist musikalisch auffällig, was ist originell oder besonders ansprechend, wenn man von der Interpretation absieht? Wichtige Parameter dabei könnten sein: a) die rhythmische Gestaltung, ob begleitend oder in der Melodie, b) der Wiedererkennungswert der Motivik einer Melodie, oder Riffs c) die Originalität der Harmonik (innerhalb des stilistischen Bereichs), d) die Dynamik des Arrangements, der Instrumentation.
Der Versuch den bekannten Titel mit allen Parametern auf die Gitarre zu übertragen, wird erfahrungsgemäß in den meisten Fällen weniger erfolgreich sein, entweder wird das Stück viel zu schwer oder wesentliche Bestandteile können gar nicht umgesetzt werden. Hier ist die ‚Kunst der Reduktion’ gefragt, wobei die für uns wesentlichen und umsetzbaren Bestandteile des Titels in Betracht gezogen werden.Die entstehende Veränderung wird genau genommen zur einer Imitation des Originals, daher möchte ich diese, zur Gewohnheit gewordene Vorgehensweise eine Imitation des Populären Stiles, „alla musica popolare“ nennen.

Aktuelle Konzeption

Als ich zu Beginn der 90er Jahre das Konzept für den ersten berufsbegleitenden Lehrgang „Populäre Musik im Gitarrenunterricht“ an der Akademie Remscheid entwickelte, war es um brauchbares Unterrichtsmaterial schlecht bestellt. Nur wenige Autoren widmeten sich einer progressiven Aufbereitung und damit nachvollziehbaren Vermittlung des Materials. Eine Hauptzielsetzung dieser Fortbildung war daher die Definition einer Unter-, Mittel- und Oberstufe, die für die Einstufung des damals gegenwärtigen Unterrichtsmaterials in Form von Lehrwerken, Songbooks oder vergleichbaren Veröffentlichungen herhalten musste. Mittlerweile haben Musikausbildungsstätten, Verlage und weitere Institute der unaufhaltsamen Entwicklung in Bezug auf die Vermittlung Populärer Musik durch entsprechende Angebote Rechnung getragen. Es gibt eine regelrechte ‚Materialschwemme’ hinsichtlich Pop-, Rock- oder Jazzkonzepten, was allerdings keinesfalls die Notwendigkeit einer allgemeinen didaktischen Progressionsfähigkeit des Lehrers ersetzt. Populäre Musik im Unterricht erfordert eben eine große Übersicht – aber auch eine enorme Einschätzungsfähigkeit des Lehrers, in welcher Stilistik ein Schüler optimal gefördert werden kann. Neben dem (immer noch geltenden) schon genannten strukturellen Rahmen der Unter-, Mittel- und Oberstufe scheinen sich im Populären Gitarrenunterricht drei Kategorien entwickelt zu haben:

1. Fingerstyle-Guitar (Steel/Nylon; ‚klassische Spieltechnik‘)
2. Singer-Songwriter (Gesang+Liedbegleitung, früher: Liedermacher)
3. E-Gitarre
Während die ersten beiden Kategorien solistisch existieren können, besteht ein wesentliches Merkmal der 3. Kategorie darin, dass es sich hier vornehmlich um ein Ensemble-Instrument handelt, was häufig die Verwendung eines Playbacks im Unterricht notwendig macht. Wo also ist unser Schüler am besten aufgehoben? Hierfür ist seine musikalische Entwicklung zu beobachten, nicht selten ist eine ‚Wanderung’ zwischen den Kategorien da hilfreich.
Kategorie Nr. 2 erfordert dabei ggf. eine besondere Methodik, da die Synchronisierung beider Ebenen – Gesang und Begleitung – neben der Weiterentwicklung der Begleitung eine der Hauptaufgaben darstellt.
Wenn wir unsere Schüler künstlerisch erziehen wollen, kann das bloße Kopieren von bekannten Hits natürlich keine ausreichenden Perspektiven bieten.
Der ‚Blick hinter die Kulissen’, sich den einzelnen Bestandteilen, den schon genannten Parametern zu widmen, kann Interessantes und zugleich Spannendes bieten. Eine wesentliche Rolle hierbei spielt die Improvisation, weniger im Sinne als Schaffen von komplett neuer Musik, sondern eher als Variieren und Verändern des Bekannten. Hier ist
das Spielen mit den Möglichkeiten gemeint: beispielsweise kann
a) das Üben eines Rhythmus durch leichtes Variieren beim Wiederholen leichter fallen, vielleicht sogar zum eigenen Stück werden, b) die bekannte Akkordfolge dazu dienen, weitere Melodien zu erfinden, c) die bekannte Melodie für eine Improvisation benutzt werden. Das Melodiespiel vermittelt im frühen Alter bereits hierfür die beste Grundlage.
Der Lehrer lässt günstigerweise im Unterricht Zeitphasen zu, in denen Lehrer und Schüler gleichermaßen aktiv sind, der Lehrer unterstützend, Schüler probierend. Wesentliche Bausteine populärer Musik können so sehr lebendig vermittelt und der kreative Umgang mit ihnen ermöglicht werden.
Es ist schließlich auch die Frage, wie man an eigenes ‚Musikmaterial’ gelangen kann – eine wichtige Frage, wenn es um eine aktive Teilnahme des Lernenden am aktuellen Musikgeschehen gehen soll. Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) meldet 2013, dass die Pop-, Rock- und Jazzausbildung boomt, immer mehr Jugendliche in die professionelle Musikszene drängen. Die Zahl der Studierenden in Studiengängen für Jazz und populäre Musik an deutschen Hochschulen habe sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt, heißt es. *4.) Es liegt nahe anzunehmen, dass eine zukünftige Entwicklung der Musik ohne Auseinandersetzung mit Populärer Musik kaum noch möglich ist. Es gibt bereits zahlreiche Ansatzpunkte, die in der gegenwärtigen Musik einfließen bzw. schon eingeflossen sind, von Collagen-, Variations- und Verfremdungstechniken bis Patternmusic gibt es bereits zahlreiche Beispiele, die die viel beschworene Stagnation einer musikalischen Weiterentwicklung außer Kraft setzen.

Die Gitarre als idealisiertes Imitations-Instrument

Das Integrieren Populärer Musik in den Unterricht dient also nicht allein den Bedürfnissen der Schüler, sondern bietet, wenn es nicht bei einer auf Ausführen und Kopieren beschränkte Pädagogik bleibt, Ansatzpunkte für individuelle Ausdrucksmöglichkeiten, die einem aktuellen Musikgeschehen entsprechen. Die etwaige Geringschätzung Populärer Musik in der Pädagogik wäre fatal, da sich eine Zeitgenossenschaft sich zukünftig deutlich mehr und öfter in Form Populärer Gepflogenheiten, artikulieren wird. Es geht also z.B. nicht um eine degenerative Entwicklung der Gitarrenkunst, sondern um den Weg in eine neue Qualität.

Wir können daher gar nicht genug Unterrichtsmaterial haben, das sich an „Populäre Musik“ orientiert, ihre wesentlichen Bestandteile enthält, aber dennoch typische Spieltechniken der Gitarre vermittelt. Gelingt es uns diese Musik „beweglich“ zu machen, d.h. flexibel zu gestalten, ebenen wir den Weg für das Neue.

Es wird viele Kritiker geben, die die über Jahrhunderte entwickelte, authentische Spieltradition aufs Spiel gesetzt sehen. Aber was heißt hier authentisch? Die Gitarre war und bleibt ein ideales Instrument zur Imitation, solange sie existiert. Sie imitierte andere Instrumente, Gesang, Laute, Cembalo, Klavier, Violine etc. ebenso kunstvoll wie Musikstile, vom Volkslied bis zur Klaviersonate, von geistlichen Liedern bis Violinsuiten. Aufgrund ihrer speziellen Eignung, einerseits durch ihre Sensibilität andererseits sicher durch ihre Transportfähigkeit, war sie immer ein begehrtes Instrument. Banale Begleitungen standen zu allen Zeiten höchst anspruchsvollen Musikstücken gegenüber, nicht erst in der Populären Musik. Die Chance zum Künstlerischen, zum Inhaltsreichen, ja Ernsten, besteht in der Populären Musik ebenso wie in jedem anderen musikalischen Terrain.

Der Blick in die Ferne

Aus der Musik, die alle sofort verstehen, die uns in Kaufhäusern und auf Volksfesten begegnet, kann sich durchaus Neues entwickeln lassen, wenn auch vielleicht indirekt. Diese Gewohnheit existiert ebenso seit langen Zeiten, wenn man Populäre Musik in der eben genannten Form versteht, d.h. „Massenmusik“ mag für den ernsthaften Musiker sicherlich sehr „befremdlich“ sein, es ist wohl eher ein Blick in die Ferne.

„Welscher“ Tanz – Hans Neusiedler, Französische und Englische Suiten – J. S. Bach, „Alla Turca“ – W.A. Mozart, es gibt aus den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche Beispiele von Werken, die eine Andersartigkeit von Musik und deren ungewohnte Elemente, aufgreifen. Warum? Das „Andere“ war vermutlich immer schon attraktiv, das in diesem Sinne „Exotische“ (fernen – besonders überseeischen, tropischen – Ländern, Völkern eigentümlich, ihnen zugehörend, entstammend; [der Art, dem Aussehen, Eindruck nach] fremdländisch, fremdartig und dabei einen gewissen Zauber ausstrahlend) *5.) begegnet uns bis in die heutige Zeit. Meist in gewohnte Strukturen eingebettet, verleiht es seinen besonderen Reiz. Soll es durch einfache Adaption nicht ungewollt komisch wirken, erfahren diese „exotischen Substanzen“ eine Art Verwandlung. Je mehr dabei eine nur andeutende Gestik erreicht wird, desto vieldeutiger und „interpretations-offener“ kann ein Musikwerk werden. Die einfache, unverarbeitete Adaption hingegen kann zum plumpen Plagiat geraten. Ein wichtiges künstlerisches Element – wie ich es nennen möchte – besteht jedoch in der Verwandlung des Wahrgenommenen, des Bekannten, des Bewunderten – hier des Exotischen – in eine neue, eigene Form. Demnach ist es eigentlich kein Wunder, dass man im „Alla turca“ – Satz Mozarts A- Dur Klaviersonate arabeske Strukturen vergeblich suchen wird, vielleicht ist hier auch eher der Gedanke an den Eifer türkischer Eroberer vor österreichischen Stadttoren Auslöser gewesen.

Wie französisch sind Bachs „Französische Suiten“? Friedrich der Große soll als Kenner und Nacheiferer der französischen Kultur, aber Bewunderer eher der italienschen Musik, angeblich zu Bach gesagt haben, die französischen Manieren solle man den Franzosen überlassen – wobei die Verwandlung Bachs der französischen Manieren in eine – wie immer bei ihm – großartige Musik vom Preußenkönig nicht erkannt, sondern wohl eher als „unauthentisch“ abgetan wurde.

Wenn wir Populäre Musik auf die Gitarre übertragen wollen – sei es ein Arrangement oder eine Komposition -, so dass die Gitarre nicht nur einen Teil der Musik übernimmt, sondern eine Art Vollständigkeit darstellen soll, ist eine Verwandlung der Ausgangsmusik nicht nur unabdingbar, sondern Absicht. Keine Verlegenheitslösung, weil kein CD-Player zur Hand ist, sondern eine bewusste Verwandlung, deren instrumentale Umsetzung Spaß macht, deren Veränderung in die andere Form „Neues“ zu Tage fördert. Je weniger die Bausteine der Ausgangsmusik wörtlich umgesetzt werden, desto stärker wird ihre symbolische Funktion. Die durch Überwinden der wörtlichen oder bearbeiteten Wiedergabe eigene, neue Form könnte man als Stil „alla musica popolare“ bezeichnen.

Es gibt durch eine Integration Populärer Musik in den Gitarrenunterricht viel versprechende Wege in die Zukunft.

Quellen:

*1.)  Auszug aus der Seite zum Begriff „Popmusik“ – Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Popmusik

*2.)  Jürgen Terhag (hrsg) , „Populäre Musik und Pädagogik“ Band 1, S. 9 1993 Institut für Didaktik populärer Musik ISBN 3-930915-00-6

*3.)  J. Terhag, „Populäre Musik und Pädagogik“ Band 1, S. 9

*4.)  Deutsches Musikinformationszentrum (Einrichtung des Deutschen Musikrats)

Pop-, Rock- und Jazzausbildung boomt: Immer mehr Jugendliche drängen in die professionelle Musikszene

http://www.miz.org/themenportale/jazz-rock-pop

*5.)  Auszug aus der Seite zum Begriff „exotisch“ – Duden http://www.duden.de/rechtschreibung/exotisch