Versuch einer Rekonstruktion

1990 war ich als Mitglied der Initiative zur Erweiterung der Kultur in Hückeswagen an der Planung des Projekts eines Skulpturenparks an der Vorsperre der Wupper-Talsperre mehr oder weniger beteiligt. Da die Mitglieder der Initiative überwiegend selbst Kultur- und Kunstschaffende waren, sah jeder in dieser Herausforderung eine Art Selbstverständlichkeit neben den zahl- und umfangreichen Organisationsaufgaben auch Künstlerisches aus der eigenen Arbeit beizusteuern, wie es schließlich bereits in zahlreichen Projekten auch der Fall war. Natürlich reichten unsere eigenen Kapazitäten nicht aus, für ein umfangreiches, angemessenes Skulpturenpark – Programm zu sorgen. Daher wurden zusätzlich weitere Künstler eingeladen. Es war das letzte Projekt der Initiative, deren Werdegang immer mehr Klaus Behrla übertragen wurden. Die Initiative löste sich einige Zeit später vor allem durch die berufliche „Zerstreuung“ der Beteiligten auf.

Sobald die Projektrealisierung des Skulpturenparks feststand, machte ich mich an die Arbeit ein für mich passendes Szenario einer Performance zu entwerfen. Es sollte in meiner Vorstellung nicht einfach ein passendes, zeitgenössisches Stück aufgeführt werden, mich interessierte vielmehr, wie sich Klänge in die Landschaft bringen liessen. Wie liessen sich Schall-Reflektionen, von Felsen, Bäumen, Wasseroberfläche nutzen und integrieren? Was wäre zu laut? Was zu leise? Nach einigen Überlegungen fand sich ein geeigneter Standort der Performance, die aus vorbereiteten Tonbändern und einer improvisatorischen Live-Zuspielung bestehen sollte. Da es dort genügend Reflektionsflächen durch weiter entfernte Felswände und Waldbestand, nicht zuletzt durch das schall-tragende Wasser gab, galt es nun, den Grad der Lautstärke zu ermitteln. Die angepasste Verstärkung konnte ich mittels Technik realisieren.

Die inhaltliche Arbeit war für mich neben der eigentlichen Aufführung der wichtigste Teil dieses Projekts. In dieser Zeit beschäftigte ich mich regelmäßig mit elektronischen Samples, die seit den 80ern immer umfangreicher in allmöglichen Tasteninstrumenten, Klanggeneratoren und Drumcomputern verfügbar waren. Eigentlich alles „Fertigprodukte“: jederzeit abrufbare und veränderbare Klänge aller üblichen Instrumente. Mir machte es Spass, aus der Vielfalt ungewöhnliche Zusammenstellungen zu improvisieren und sie in wiederholenden Klangmustern (Patterns)  zusammenzufassen. Die Festlegung einer „Klanglandschaft“ erreichte ich durch das Aufnehmen mehrer Spuren, auf denen diese Patterns enthalten waren und sich zu einer improvisierten musikalischen Logik verbinden liessen. Ich wollte aber keine Klanginstallation, sondern eine Art Solokonzert, bei dem die vom Tonband zugespielten Aufnahmen die Aufgabe eines sonst üblichen Orchesters übernehmen sollten. Das live gespielte Solo-Instrument (meine Gitarre) sollte zu den Tonspuren improvisiert werden. Ich improvisierte also auf der Gitarre mit den Möglichkeiten einer Tonreihe, die ich bereits bei den Tonspuren verwendet hatte. Es entstanden grobe Muster, mal mehr, mal weniger frei anzuwenden. 

Die Intuition?

Neben den landschaftlichen Gegebenheiten lenkten mich bei dieser Arbeit Bilder aus Erinnerungen, die sich immer mehr aufdrängten:

als gebürtiger Hückeswagener kannte ich das Gebiet bereits lange vor dem Bau der Talsperre. Unzählige Male bin ich mit meinem Onkel durch das ehemalige Corneliustal spaziert, mit seinen alten Brückenkonstruktionen, Gebäude- und Mühlenresten, den Rudimenten einer lebendigen Industrie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, seinen Wegen, die nah an der meist spärlich fließenden Wupper vorbei führten. Hier war sicher vieles Großartige erreicht worden, bis schließlich die Zeit, nach und nach, die Bedeutung dieses romantischen Gebietes zu entkräften schien. Zeit vergeht und verändert sich – keine originelle Erkenntnis, sondern für den Menschen alltäglich, seit dem er denken kann. Jede Musik verändert sich ebenso zeitgebunden, es sei denn, sie wird durch eine Aufnahme konserviert und so jederzeit abrufbar. Damit ist sie aus dem Zeitenwandel ‚herausgenommen‘, Veränderungen können ihr nichts mehr anhaben. Sie ist so gewissermaßen „statisch“ geworden und steht nun sprichwörtlich in der Glasvitrine. So etwas sollte diesem Stück nicht passieren, sondern es sollte sich bei Aufführungen immer wieder neu konstellieren können. Daher ist der Solopart der Gitarre als Improvisation angelegt, die sich teilweise nach Vorgaben oder völlig frei entfalten kann.

Soweit ich mich erinnern kann, habe ich immer Musik improvisiert und verändert. Mir war erst später bewußt, dass eigentlich dadurch meine Musik in dem Sinne „dynamisch“ blieb, indem sie sich immer wieder an eine neue Gegebenheit anpassen und damit einem aktuellen Zeitfluss entsprechen liess. Je größer der Anteil der Improvisation, desto unterschiedlicher die Ergebnisse einer Wiederholung eines Stückes. Die Klänge können so am „fließen“ bleiben, zum einen durch den Fluss des Spielens, des Improvisierens, zum anderen durch die Veränderbarkeit, der Transformation.   

Und wenn man dort, wo der Skulpturenpark existierte, genau hinschaut, fließt für gewöhnlich die gestaute Vorsperre immer ein bisschen. Immerhin. Die Skulpturen und Klänge von damals aber sind verschwunden.


sounds to flow

I. Introduktion

II. Lyrisch, con sentimento

III. Sehr ernst, alla cubana

IV. Volkslied, sehr rhythmisch, quasi scherzo

V. Marsch

VI. ohne Bezeichnung

VII. ohne Bezeichnung

VIII. ohne Bezeichnung

IX. Sehr bedächtig, ruhig

X. Hommage á Webern, punktuell, sehr frei

XI. Finale, Coda


Bildliche Darstellung der Tonbandaufnahmen und der elfteiligen Struktur von „sounds to flow“:

Tonbandaufnahmen in Notenschrift beispielsweise anhand Satz II

Festlegung des Reihenmaterials und erste Klangentwürfe

Vorgaben für die Improvisation anhand Satz X „Hommage a Webern“
  1. Sounds to Flow I - Hommage á Webern 3:40

Skizze des technischen Aufbaus